Fest, Joachim
Ich nicht
Rowohlt; 2006, 19.00 €

Joachim Fest, Jahrgang 1926, hat als Historiker und Journalist wichtige Bücher über die Nazi-Zeit verfasst. Seine im Jahre 2000 erschienene, über 1200 Seiten lange, aber sehr lebendig geschriebene Hitler-Biographie zählt zu den wichtigsten Werken der Forschungen zum Dritten Reich. Sie wurde zum Weltbest- seller. Um seinen sehr eigenwilligen Weg als Mensch und analytischer Literat und Historiker zu vestehen, muß man seine Kindheits- und Jugenderinnerungen mit dem wie eine Fanfare klingenden Titel "Ich nicht" lesen. Mir persönlich gingen in dem Buch natürlich seine Freiburger Jahre ab 1941 als aufmüpfiger Schüler im "Erzbischöflichen Knabenknovikt" und im humanistischen Friedrich-Gymnasium sehr nahe, in dem ich ab 1959 ebenfalls meine Jugendjahre verbracht habe. So las ich da, daß ich als Quintaner denselben (angsteinflößenden) Latein- und Geschichtslehrer Dr. Malthan wie er hatte. Dieser war in den 40-er Jahren ein glühender Nazi an der Schule.
In dem Buch ist vor allem bemerkenswert, welch unerschütterlichen Halt Fests Eltern Ihren drei Söhnen und zwei Töchtern gegen den allseits spürbaren Sog der Hitlerei im Berlin der 30-er Jahre spielten. Man "mußte" nicht, wie viele später in der Nachkriegszeit immer wieder behaupteten und noch behaupten und gegen die sich auch Fests Buch richtet, man mußte nicht in die Partei eintreten und die Kinder zum Jungvolk oder in die Hitler-Jugend schicken. Wenn man keine argumentative Kraft gegen die rassistischen und Anwandlungen der NAZIS hatte und lieber "mitlaufen" und "wegschauen" wollte, hatte man es damals natürlich leichter. So flogen 1940/41 die drei Fest-Buben wegen der Aufmüpfigkeit des 14-jährigen Joachim und seiner pubertären Hitler-Karikaturen an Laternen und auf Schulbänken vom Berliner Leibnitz-Gymnasium. Doch die Eltern fanden glücklicherweise im liberalen und konservativ-katholischen Freiburg dieses Internat mit dem angeschlossenen städtischen Gymnasium, was alles für die drei jungen "Berliner Schnauzen" in der schwarzwälder Umgebung eine neue, große Herausforderung war. Doch schon 1943 wurde Fest in die vormilitärische Ausbildung eingezogen und Schule fand nur noch phasenweise statt.
Joachim Fest hatte später in Freiburg, Frankfurt und Berlin Geschichte und Germanistik studiert, war als Journalist beim NDR, beim Fernsehen und bei der "FAZ" tätig. Er starb 2006 mit 80 Jahren.
Nachvollziehbar aufgrund seiner Biografie ist mir zwar seine heftige Polemik gegen alle "Bewegungen", wie er die nationalsozialistische und die kommunistische, aber später auch die "68-er" geißelte. Hier zwei Buchzitate:
"Für jeden, der die Signale der Zeit zu lesen verstand, waren die Irrwege allen Zeitgeistgetues stets sichtbar. Schon in den dreißiger Jahren hätten der Kommunismus und in seinem Gefolge der Nationalsozialismus jeden unvoreingenommenen Beobachter zur grundsätzlichen Gegnerschaft anleiten müssen.
Denn die Unmenschlichkeiten, die sich aus den Welterklärungsformeln der einen wie der anderen ergaben, waren zu deutlich." (S.363)
Doch das Urteil des fast 80 Jährigen über die Nachkriegsbewegungen finde ich harsch, undifferenziert und verbohrt. "An den Achtundsechzigern und manchen verwandten Zusammenschlüssen (!) hat mir nie die Sehnsucht eingeleuchtet, mit der eine poltisch wirre und moralisch großtuerische Jugend die Welt aus einem Punkt zu erklären unternahm."(S.362/63)
Ich meinerseits bin froh, in den 70-er und 80-er Jahren bei der erfolgreichen südbadischen "Bewegung" gegen das Atomkraftwerk Wyhl am Kaiserstuhl mitgewirkt zu haben und bekenne mich zur ökologischen und politischen Notwendigkeit solcher Zusammenschlüsse für eine gelingende Demokratie.



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